
Ich bin mit dem Namen Skovgaard aufgewachsen und mit allem, was dazugehört. Man wird da nicht einfach Kind, man wird… vorbereitet. Ich kann dir bis heute sagen, wie das Parkett in der Residenz im Winter unter den Schuhen knarzt, ich kenne den Geruch von frisch polierten Silberkannen und die feinen Unterschiede im Lächeln einer Nanny, die gerade überlegt ob sie mich rügen darf oder nicht.
Ich wusste früh wann man besser schweigt, auch wenn man recht hat. Ich wusste wie es aussieht, wenn die Presse vor der Tür lauert, lange bevor ich verstand was sie dort eigentlich suchte. Während andere Kinder im Dreck spielten oder sich auf dem Bolzplatz die Knie aufschlugen, lernte ich wie man höflich bleibt, auch wenn der Kopf längst woanders ist. Zwischen all den Regeln gab es nur ein paar kleine Inseln, auf denen ich atmen konnte; das Klavier war eine davon. Die Tasten, die Musik, das war der einzige Ort, an dem ich nicht ständig wusste, wer ich sein muss. Später kam das Segeln dazu; weite Wasserflächen, kalte Luft, keine Kameras, keine Fragen... nur der Wind und ich.
Offiziell bin ich eine Randnotiz im Stammbaum der Königsfamilie, für die Meisten bedeutungslos, für mich bedeutete es immer alles. Verantwortung, Disziplin, keine Fehler. Die Öffentlichkeit sieht was sie sehen soll: einen höflichen, kontrollierten jungen Mann, charmant genug um auf Empfängen nicht negativ aufzufallen, zurückhaltend genug um niemandem gefährlich zu werden. Ein tadelloses 'Backup' falls dem Thronfolger oder seinen Geschwistern etwas zustößt und alles schiefgeht.
Was die wenigsten sehen oder sehen wollen sind die Zweifel. Diese kleine, leise Stimme die immer dann laut wird, wenn keiner hinsieht. Die Frage ob ich überhaupt irgendwo zwischen all den Titeln, Verpflichtungen und gestellten Fotos noch selbst existiere. Manchmal frage ich mich ob überhaupt jemand mich sieht?
Meine Beziehung ist darin keine Ausnahme. Unsere Familien haben sie für uns arrangiert. Sie sagten, sie sei vernünftig, politisch klug und gesellschaftlich vorzeigbar… all diese Begriffe die man als Kind nicht zuordnen kann und als Teenager sowieso nicht gerne hört.
Wir haben uns über die Jahre angefreundet und sogar versucht uns zu mögen so gut es eben ging. Ruhige Vertrautheit, so könnte man es nennen. Manchmal stehen wir nebeneinander, lachen, spielen das perfekte Bild... und doch bleibt da dieses leere Ziehen, genau in den Momenten in denen eigentlich Nähe sein sollte.
Ich habe gelernt, damit zu leben. So wie mit dem Druck auf der Brust, den Erwartungen meiner Eltern und der Welt und dem Wissen, dass ich nicht stolpern darf. Aber es reicht manchmal ein schiefer Blick, eine Berührung die zu lange dauert, ein einziger gedankenloser Moment und das Kartenhaus gerät ins Wanken.
Kansas war nicht meine Idee; ich habe es zugelassen, so wie ich schon viele Entscheidungen in meinem Leben einfach habe geschehen lassen. Ihre Familie stammt von hier, eine bekannte Größe in diesen Kreisen – ein paar Gespräche, ein paar gute Kontakte, und schon wurde aus einer Idee ein Plan.
Und dieser war ganz klar: ein Studium in Übersee, neue Kontakte, neue Schlagzeilen. Ich habe zugestimmt, genickt, gelächelt… weil es einfacher ist, wenn niemand merkt, dass man eigentlich lieber etwas anderes gesagt hätte.
Aber irgendwann wird selbst das Lächeln schwer und es gibt Abende an denen man spürt, dass einem die Rolle die man spielt zu eng geworden ist.
An genau so einem Abend wollte ich raus; weg, wenigstens für einen Moment nicht Milas Skovgaard sein.
Ich schlich mich von einer dieser Veranstaltungen die in meinem Leben zur Routine gehören unter dem Vorwand eines Telefonats davon. Die Gespräche, das höfische Lächeln, die zu nahen Kameras ertrug ich einfach für den Abend nicht mehr.
Und dann lief ich ausgerechnet Edmund in die Arme. Fremd waren wir uns nicht; man kennt sich eben, wenn man in denselben Kreisen unterwegs ist. Flüchtige Gespräche, ein Glas Champagner am selben Stehtisch, mehr war da bisher nicht gewesen. Doch an diesem Abend war es anders. Kein gedeckter Tisch, kein gestellter Smalltalk; nur wir, ein bisschen zu nah an der Tür zur Freiheit. Vielleicht war es Zufall, vielleicht auch nicht. Jedenfalls kamen wir ins Gespräch und dieses Mal war es echt, die Stimmen der Anderen um uns herum wurden leiser, die Regeln rückten in den Hintergrund, ich vergaß für einen Moment wer ich sein sollte. Das ich quasi über seine Füße gestolpert war als ich flüchtete erschien mir im ersten Augenblick absurd, dann wie eine glückliche Fügung des Schicksals.
Lag vielleicht auch am Alkohol oder es lag daran, dass Edmund mich nicht behandelt hat wie den Skovgaard, der ich offiziell bin... Vielleicht war es genau das, was mir gefehlt hatte... Irgendwann ehe ich es verhindern konnte war da dieser Moment, der alles komplizierter machte. Kein großes Drama, keine Erkenntnis, die mir den Boden unter den Füßen wegzog, nur diese leise Wahrheit, dass der Abstand zwischen uns gefährlich klein geworden war.
Ich hätte es ignorieren sollen, zurück zu meiner Rolle, höflich nicken, Distanz wahren, die altbekannte Nummer... Aber so einfach war das nicht.
Es blieb nicht bei diesem Abend. Die Begegnungen häuften sich, irgendwann war es nicht mehr Zufall. Gespräche wurden länger, persönlicher, zwischen uns war etwas das keiner von uns so richtig aussprach, etwas das gefährlich nah an das rührte was ich mein Leben lang versteckt hatte.
Dabei weiß ich genau wie wackelig das Kartenhaus geworden ist. Ich habe Ausreden parat, wenn mich jemand erkennt. Die beiläufigen Blicke und heimliche Handyfoto erkläre ich mit einem "Das passiert mir ständig" und einem charmanten Grinsen, oder ich schiebe es auf Ähnlichkeiten mit irgend so einem Typen aus der Zeitung. Solche Dinge ziehen, wenn man sie überzeugend genug vorträgt.
Edmund weiß nichts von dem Ganzen, er weiß nicht wie tief ich da drin stecke; nicht, dass ich verlobt bin - offiziell natürlich nicht, aber die meisten erwarten es längst - nicht, dass ich mehr bin als nur ein weiterer reicher Typ der zufällig bei den richtigen Veranstaltungen auftaucht... eigentlich weiß er fast gar nichts über mich.
Wie lange das noch funktioniert ist fraglich. Die erste Situation in der mich jemand auf der Straße beinahe erkannt hätte, hat gereicht um mich aus dem Konzept zu bringen. Edmund hat es vermutlich nicht mal gemerkt wie ich ihn damals einfach weitergezogen habe, weg von den Kameras, weg von den neugierigen Blicken, aber es wird nicht bei diesem einen Mal bleiben; früher oder später fliegt es auf. Vielleicht, weil Edmund selbst neugierig wird, vielleicht auch, weil ein Bild irgendwo im Netz landet der aber jemand anderes es laut ausspricht...
Und dann wird sich zeigen, ob von dem was gerade zwischen uns wächst überhaupt noch etwas übrig bleibt.